verriet mir hier die Bootsoma, meine Netzwerk-Kollegin Ines Balcik. Danke, liebe Ines, für diesen wunderbaren Text. Ines schenkte mir (und wir Textinen uns untereinander) diesen Blogbeitrag bei der diesjährigen Texttreff-Aktion „Bloghoppeln“.

Bloghoppeln heißt in diesem Jahr unsere Textinen-Blogbeitrag-Geschenkaktion – veranstaltet in meinem Lieblingsnetzwerk Texttreff (bei dem ich mit meinen Hauptjob als PR-Texterin und Fachjournalistin gern dabei bin).
Doch lesen Sie selbst, was die Bootsoma schreibt. Und schauen wir mal, ob wir uns in Istanbul zur Tulpenblüte treffen?
Hier folgt der Text von Ines:

Mehr als Blau
Blaues Meer, blauer Himmel – so sehen die Farben vieler Träume aus. Als Bootsoma sind sie mir vertraut, und dafür bin ich dankbar. Aber mal ehrlich: Immer und überall nur Blau ist auch nicht das Wahre.
Ich freue mich, wenn ich nach ein paar Wochen am und auf dem Meer wieder bunte Blumen und viel Grün sehe. Als Kind war ich kein Gartenfan. Im Gegenteil, Gartenarbeit fand ich schrecklich, während meine Mutter sie liebte. Zum Glück brauche ich nicht im Garten zu arbeiten, um mich am Anblick von Frühlingsblumen zu erfreuen.
Das Tulpenfestival in Istanbul
Die Farbpalette hat mehr zu bieten als Schwarz und Weiß, das ist so bei Pflanzen und im menschlichen Zusammenleben. Als jemand, die mit einem gebürtigen Istanbuler verheiratet ist, habe ich mir auch auf die Fahnen geschrieben, zwischen Kulturen zu vermitteln. Wie könnte das besser gelingen als mit den Tulpen des Frühlings?
Seit fast 20 Jahren lädt die Metropole Istanbul zum Tulpenfestival ein. Parks, Straßen und Plätze erblühen im Frühling in bunter Pracht. Am besten lässt sich die Tulpenfülle im Emirgan-Park bewundern. Der Park liegt am europäischen Ufer des Bosporus und gehörte zum Stadtforst, bis dort Ende des 19. Jahrhunderts für einen einst mächtigen Pascha ein Landsitz entstand und aus dem angrenzenden Wald ein Garten entstand. Vor einigen Jahrzehnten wurden die Gebäude und Pavillons restauriert, das ganze Gelände ist nun ein beliebter öffentlicher Park.
Als die Tulpen nach Europa kamen
Tulpenfestivals gibt es nicht nur in Istanbul. Schon vor Jahrhunderten erreichte die Tulpenmanie in Europa ihren Höhepunkt – ein Phänomen sowohl, das sowohl in kultureller als auch in wirtschaftlicher Hinsicht fasziniert. Deshalb lade ich ein zu einem kurzen Blick zurück auf die Wurzeln der türkisch-europäischen Tulpenverbindung.
Ursprünglich kamen Tulpen und andere Frühlingsblumen aus Persien ins Osmanische Reich. Dort wurde sie schnell zur beliebten Zierde, ja mehr als das: Die osmanische Gesellschaft liebte Blumen. Bücher über Blumenkunde entstanden, die Sultane ließen Blumengärten anlegen, in denen Tulpen einen Ehrenplatz einnahmen. Wertvolle Stoffe, die mit kunstvollen Blumenmustern durchsetzt waren, zeugten von Status und Reichtum ihrer Besitzer. Blumen fanden einen festen Platz in Zeremonien und Festlichkeiten, denn ihre Schönheit wurde als Geschenk Gottes empfunden. Blumen waren eng mit zentralen gesellschaftlichen Werten verbunden: mit Liebe, Gastfreundschaft und Lebensfreude.

Die Liebe zu Blumen allgemein und zu Tulpen im Besonderen zog auch in die osmanische Kunst und das osmanische Kunsthandwerk ein: Florale Motive finden sich in der Buchkunst als kunstvolle Elemente in Manuskripten und Illustrationen. Moscheen, Paläste und öffentliche Gebäude wurden mit Mosaiken, Fliesen und Wandmalereien geschmückt, die Blumenmotive abbilden.
Blumen und speziell Tulpen waren zum Symbol für Kultur und Zivilisation, aber auch für Reichtum und Macht geworden, als europäische Reisende im 16. Jahrhundert die ersten Bilder und Beschreibungen von Tulpen nach Europa brachten. Es blieb nicht bei der Theorie. Sie hatten bald auch Tulpenzwiebeln im Gepäck, und der Rest ist Geschichte: In wenigen Jahren entwickelten sich die Niederlande zum europäischen Zentrum der Tulpenzucht in Europa. (Mehr zum Thema: https://de.wikipedia.org/wiki/Blumen_in_der_Kultur_des_Osmanischen_Reichs_und_ihr_Weg_nach_Europa)
Tulpen schreiben Wirtschaftsgeschichte
Eine regelrechte Tulpenmanie entwickelte sich in Europa, die weit über kulturelle Aspekte hinausging. Der Tulpenboom sorgte für rasch steigende Preise für die farbenfrohen Blumen bzw. ihre Knollen. Einzelne Tulpenzwiebeln wurden für tausende Gulden verkauft, seltene Sorten erzielten astronomische Preise. Tulpen wurden zum Spekulationsobjekt, das schnellen Reichtum versprach. Aber es kam, wie es kommen musste: Der wirtschaftliche Höhenrausch endete im Jahr 1637 mit einem abrupten Preisverfall für die begehrten Tulpen. Dieses Ereignis wird heute noch gerne als Beispiel für einen frühen Börsenkrach angeführt. Die Preise verfielen, der kulturelle Einfluss der Blumen blieb – in teils überraschenden Formen. (Mehr zum Thema: https://de.wikipedia.org/wiki/Tulpenmanie)
Türkische Blumensprache
An dieser Stelle der türkisch-europäischen Blumengeschichte kommen endlich auch Frauen ins Spiel. In der Regel waren es Männer, die im 16. und 17. Jahrhundert aus Europa ins ferne Osmanische Reich reisten. Die Berichte dieser Reisenden prägten die Vorstellungen, die sich die Menschen in Europa von den türkischen Männern und Frauen machten – wobei sie über Letztere herzlich wenig wussten. In der traditionellen türkischen Gesellschaft waren die Lebenswelten von Männern und Frauen streng getrennt, außerhalb der Familie gab es kaum Berührungspunkte. Aber Anfang des 18. Jahrhunderts mischte eine englische Lady die begrenzte Sichtweise gründlich auf. Sie äußerte sich ziemlich unverblümt:
„Jetzt, da ich zum Teil mit ihren Sitten bekannt bin, muß ich die exemplarische Bescheidenheit oder vielmehr die äußerste Dummheit aller Schriftsteller bewundern, die uns Nachrichten von den türkischen Frauen gegeben haben. Es ist sehr leicht zu sehen, daß sie wirklich mehr Freiheit als wir haben.“ (Quelle: Lady Mary Montagu: Briefe aus dem Orient, Societäts-Verlag 1991, ISBN 379730501X, S. 155)
Lady Mary Montagu reiste im frühen 18. Jahrhundert durch Europa ins heutige Edirne (damals Adrianopel) und nach Istanbul (damals Konstantinopel), wo sie eine Tochter zur Welt brachte. Die britische Lady folgte ihrem Mann, der damals Botschafter im Osmanischen Reich war. In ihren Briefen schildert sie neue Freundschaften mit Frauen vor Ort und berichtet von Sitten und Bräuchen, die männlichen Reisenden aus Europa verborgen blieben und wenig mit deren Haremsfantasien späterer Zeiten gemeinsam haben.
Lady Mary schrieb über Pockenimpfungen, die im damaligen Europa noch unbekannt waren, nahm Türkischunterricht – und lernte die türkische Sprache der Blumen kennen.
Eine gelbe Blume im Fenster eines Hauses signalisierte zum Beispiel, dass eine der dort wohnenden Personen krank war. Eine rote Blume zeigte an, dass eine Tochter im heiratsfähigen Alter im Haus wohnte. (Quelle für diesen Absatz: https://www.istanbultarih.com/osmanli-da-cicek-10328.html)
Nicht zuletzt half die Sprache der Blumen Verliebten, ihre Gefühle zueinander auszudrücken, ohne dabei gesellschaftliche Konventionen zu verletzen. Ein eindeutiger Pluspunkt für die Freiheit der Frauen in den Augen der Engländerin. Lady Mary berichtete in ihren Briefen in die alte Heimat über die symbolische Bedeutung der Blumen und Farben und sorgte so dafür, dass die türkische Blumensprache nach England gelangte.

Die Blumensprache wird englisch
Ähnlich wie zuvor die Tulpenzwiebeln in den Niederlanden fiel die Sprache der Blumen nun in England auf überraschend fruchtbaren Boden. Im prüden viktorianischen Zeitalter mit seinem engen gesellschaftlichen Korsett erwies sich die Blumensprache als nützliches Kommunikationsmittel. Blumen ermöglichten es, Gefühle und Botschaften auszudrücken, die sonst verborgen geblieben wären. Die Blumensprache wurde als „Selam“ bekannt – so benannt nicht nach dem muslimischen Gruß, sondern nach dem „Selamlik“, dem Teil türkischer Häuser, der auch von Fremden betreten werden durfte. (Mehr zum Thema: https://de.wikipedia.org/wiki/Blumensprache)

Jede Blumenart und jede Blumenfarbe erhielt nun ihre eigene Bedeutung, die sich bis in unsere Zeit hält. Im Internet geben unzählige Blumenseiten Auskunft über die Bedeutung von Blumen. Dass eine rote Rose leidenschaftliche Liebe symbolisiert, bleibt eine weit verbreitete Vorstellung. Dass eine gelbe Rose ein Zeichen für Eifersucht sein könnte, dürfte weniger bekannt sein. Es wird noch komplizierter: In der viktorianischen Sprache der Blumen spielen auch Anordnung und Anzahl der Blumen eine Rolle. Während drei Rosen „Ich liebe dich“ bedeuten, kann eine einzelne Blume für unerwiderte Liebe stehen.
Die viktorianische Blumensprache wurde zum beliebten dichterischen Stilmittel, ganze Wörterbücher entstanden. In den letzten Jahren erlebt die viktorianische Blumensprache geradezu eine Renaissance, und einige englische Printausgaben aus dem 19. Jahrhundert sind im Projekt Gutenberg digital verfügbar. Da gibt es zum Beispiel „The language of flowers. The floral offering: a token of affection and esteem; comprising the language and poetry of flowers“ (https://gutenberg.org/cache/epub/71779/pg71779-images.html#Dictionary_of_Flowers), zusammengestellt von Henrietta Dumont, erschienen 1851 in Philadelphia und „The language of flowers“ (https://gutenberg.org/cache/epub/31591/pg31591-images.html) von Kate Greenaway, ein 1993 erschienener Nachdruck der Originalausgabe aus dem 19. Jahrhundert.
Blaue Tulpen
Im Frühjahr blicke ich – an Land und weit weg vom blauen Wassermeer – auf ein Tulpenmeer aus vielen Farben und freue mich, dass diese Blumen kulturelle Brücken bauen und Menschen verbinden. Außerdem will ich es jetzt genau wissen: Was erzählen mir die Tulpen in den vielen Farben in der Blumensprache?
Henrietta Dumont führt viele Gedichte an, in denen Tulpen vorkommen, definiert im Wörterbuch aber kurz und knapp: Tulip – Declaration of love. Kate Greenaway geht etwas mehr ins Detail. Bei ihr steht die rote Tulpe für die Liebeserklärung, die gelbe Tulpe für hoffnungslose Liebe, während Tulpen in verschiedenen Farben „schöne Augen“ bedeuten.
Offenbar bietet die Tulpensprache viel Platz für Interpretationen. Rosa Tulpen sollen auf eine Beziehung im Anfangsstadium schließen lassen, schwarze Tulpen Leidenschaft andeuten, weiße Tulpen ewige Liebe symbolisieren. Und blaue Tulpen? „Treue gehört zu unserem Leben“ ist ihre Aussage, wenn man der Seite https://www.gartenhaus-gmbh.de/magazin/blumensprache/?srsltid=AfmBOooDtB5UKxODqHm61R9jivXfp_KqPyM85MmGw60ACVPqQv62T-a6 glauben darf. Hier schließt sich mein Kreis zum Anfang dieses Ausflugs in die Welt der Blumen und Gärten: Die Lieblingsfarbe der Bootsoma bleibt Blau – in vielen Schattierungen.
